ILIAS-Blog
Community Stories: Die Zukunft gemeinsam gestalten – Einblicke aus der Leibniz Universität Hannover

Die Leibniz Universität Hannover (LUH) setzt auf eine Kombination aus Stud.IP und ILIAS, um digitale Lehr- und Lernprozesse zu gestalten. Cornelis Kater ist Teil des E-Learning-Teams (ZQS/elsa) und bringt nicht nur langjährige Erfahrung mit, sondern auch eine klare Vision für offene, zukunftsfähige Bildungsplattformen. Im Interview erzählt er, wie sich die Systeme an der LUH ergänzen, welche Entwicklungen aktuell laufen – und wagt dabei auch einen Blick auf die politischen Rahmenbedingungen rund um Open Source an Hochschulen.
Alina:
Lieber Cornelis, vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Interview für unseren Blog nimmst. Wir hatten vorab einige mögliche Themen für unser Gespräch in den Raum geworfen und da waren spannende Dinge bei. Daher werden wir heute nicht nur über eure Universität sprechen, sondern auch einige politische Themen angehen. Zunächst aber erst einmal zu der Leibniz Universität Hannover.
Ihr nutzt sowohl Stud.IP als auch ILIAS. War das von Anfang an so oder kam ILIAS später dazu?
Cornelis:
Das ist eine gute Frage. Den E-Learning-Service (elsa) gibt es an der Leibniz Universität Hannover seit 2005. Damals starteten wir mit Stud.IP als zentralem Lernmanagementsystem der Universität. Im Jahr 2008 wurde ILIAS ergänzend als weiteres LMS für Online-Lernmodule eingeführt. Die Idee dahinter war, dass Stud.IP die (damals noch) Präsenzlehre mit digitalen Tools in der Breite unterstützt, während ILIAS für Szenarien wie Blended Learning und die Bereitstellung von digitalen Lernmodulen in der Tiefe genutzt wird. Mittlerweile lassen sich auch in Stud.IP Lerninhalte über die Courseware erstellen, die Plattformen haben aber sehr spezifische und teilweise komplementäre Schwerpunkte, die für uns als großer Standort von hohem Wert sind.
Alina:
Kannst du das ein bisschen vertiefen? Wie sieht eure Nutzung von ILIAS heute aus und wieso blieb es bisher bei dieser Zweiteilung?
Cornelis:
Aktuell betreiben wir drei verschiedene ILIAS-Instanzen. Eine davon ist LUH-ILIAS, die speziell für die Lehre genutzt wird. Dann haben wir eine Instanz für elektronische Prüfungen und eine weitere, die direkt an Stud.IP angebunden ist – das sogenannte Stud.IP-ILIAS.
Die Zweiteilung entstand dadurch, dass Stud.IP als zentrales System ursprünglich keine Möglichkeit bot, online Lerninhalte zu erstellen, wie es in ILIAS möglich ist. Stud.IP war zunächst primär als System zur Unterstützung der Präsenzlehre konzipiert, während ILIAS von Anfang an darauf ausgelegt war, E-Learning-Angebote wie Lernmodule, Tests oder interaktive Inhalte direkt zu unterstützen. Auch gab es ursprünglich in Stud.IP keine veranstaltungsunabhängigen Inhalte, für die das eigenständige ILIAS geschaffen wurde. In den nächsten Semestern sollen zwei der ILIAS-Instanzen zusammengelegt werden, so dass eine integrierte Lernlandschaft aus Stud.IP und ILIAS entsteht – das beste aus beiden Welten, wenn man so will.
Alina:
Das klingt doch sehr erfolgreich und nach einem guten Plan für die Zukunft. Habt ihr diesbezüglich noch weitere Projekte geplant?
Cornelis:
Ja, wir haben einige Projekte, die wir gerne angehen würden. Zwei wichtige interne Projekte betreffen eben die schon angesprochene Zusammenlegung der beiden ILIAS-Instanzen der LUH. Ursprünglich wurden diese Systeme für unterschiedliche Nutzungsszenarien betrieben. Im Nachhinein hat sich gezeigt, dass dies unter anderem zu Verwirrung bei Lehrenden sowie einem erhöhten Wartungs- und Supportaufwand geführt hat. Daher wird das Stud.IP-ILIAS abgeschaltet, die Inhalte werden auf das LUH-ILIAS migriert, und dieses wird dann an Stud.IP angeschlossen. Die dafür nötige Schnittstelle - übrigens eine gemeinsame Entwicklung beider Plattformen, die schon seit mehr als 15 Jahren existiert – haben wir hier eigens noch einmal umfassend erweitern lassen.
Ein weiteres wichtiges Vorhaben, das fast abgeschlossen ist, ist die Entwicklung einer Selbstlernumgebung, die unter anderem Anleitungen und Hilfestellungen zur Nutzung von ILIAS bereitstellt. Die Selbstlernumgebung trägt den Titel „Digitale Lernwelten“. Dafür sammeln und bereiten wir aktuell Beispiele auf, die direkt an der LUH entstanden sind, um zeigen zu können, was alles möglich ist – beispielsweise durch Gamificationkonzept in „Syntagma“.

Und ein drittes Projekt zielt darauf ab, eine umfassende Selbstlernplattform für alle Mitarbeitende für das Weiterbildungscurriculum der LUH mit ILIAS zu erstellen. Hier erweitern wir den Bereich der klassischen Lehre, welche die Studierenden fokussiert um den Bereich der Mitarbeitenden an der LUH.
Alina:
Wow, das klingt nach einem gewaltigen Vorhaben. Ich bin schon gespannt auf das Ergebnis!
Nach eurer langjährigen Erfahrung mit ILIAS seid ihr nun im letzten Jahr auch institutionelles Mitglied im ILIAS-Verein. Was erhofft ihr euch von der Mitgliedschaft?
Cornelis:
In den letzten Jahren haben wir versucht, uns stärker in der ILIAS-Community einzubringen, da wir davon überzeugt sind, das Open Source eben nicht kostenlos ist und wir uns einbringen müssen. Historisch geschieht das bei Stud.IP schon sehr viel länger. Aus Ressourcengründen konnten wir erst in den letzten Jahren auch umfassend in die ILIAS Community einsteigen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist unsere Mitarbeit in verschiedenen Special Interest Groups, wie etwa Accessibility, Test & Assessment sowie Nachhaltige ILIAS Plugins (NIP) und ein zweiter wichtiger Schritt war unser Investment in die Entwicklung mit “Basispflege LMS”, ein Projekt aus der Corona-Zeit, in dem wir auch bei ILIAS ca. eine Viertelmillion Euro einbringen konnten.
Alina:
Und wie fügt sich der Beitritt zum Verein in diese Strategie ein?
Cornelis:
Der Beitritt zum ILIAS-Verein ist ein weiterer entscheidender Schritt, um die Open-Source-Entwicklung aktiv zu unterstützen und mitzugestalten. Durch die Mitgliedschaft können wir die Weiterentwicklung der Software mitgestalten und unseren Beitrag zur Open Source-Community von ILIAS leisten. Kurz gesagt: Wir möchten aktiv Teil dieser Gemeinschaft sein und Verantwortung übernehmen.
Alina:
Wunderbar. Wir freuen uns immer sehr über aktive und motivierte Mitglieder im Verein. Ob privat, institutionell oder als Entwickler:innen.
Kommen wir nun zu den politischen Themen...
Cornelis, du und Matthias Kunkel, ihr kennt euch mittlerweile ja schon ganz gut durch eure Zusammenarbeit in der Initiative Open Source LMS. Auf der letzten ILIAS-Konferenz habt ihr dann von der Finanzierung durch die Hochschule.digital Niedersachsen (HdN) gemeinsam mit der Volkswagen Stiftung erzählt: Das Projekt Open Source Development Network (OSDN) der HdN verteilt circa 3 Millionen Euro direkte Mittel für die Entwicklung der wichtigen Open Source LMS ILIAS, Moodle und Stud.IP. Weitere Gelder gehen an die Plattform Opencast und den OERSI.
Wie ist hier der aktuelle Stand? Kannst du uns ein bisschen davon berichten?
Cornelis:
Das Projekt hat zwei Standbeine:
Einerseits die konsequente Entwicklung der genannten Plattformen. Zwischen 2024 und 2028 werden die Gelder überwiegend über Aufträge vergeben, um so die größte Bandbreite an Know-How abzurufen.
Andererseits soll Stakeholder:innen auf Landes- und Bundesebene sowie den nutzenden Hochschulen vermittelt werden, dass es eine solche Struktur dauerhaft braucht. Nur so können für die wichtigsten Plattformen in der Lehre planbare Ressourcen generiert und die Qualität nachhaltig verbessert werden.
Hier haben wir bereits umfassende Abstimmungen mit allen Communities durchgeführt. Die LUH kümmert sich hier um ILIAS und Stud.IP, andere Hochschulen um die weiteren Communities. Wir haben die Roadmaps für die erste Projektlaufzeit abgestimmt, die Vergaben vorbereitet und werden nun in einer Reihe von Workshops einzelne Aspekte diskutieren und in die Umsetzung bringen. Voraussichtlich ist im Jahr 2027 eine große Tagung geplant, um Entwickelnde der Communities aus der Politik, von Hochschulen und weitere Stakeholder:innen erstmalig zusammenzubringen, um das Modell OSDN noch bekannter zu machen.
Alina:
Welche Rolle spielt die „Digitale Souveränität“ dabei?
Cornelis:
Eine sehr große! Wir sind überzeugt davon, dass es ein unschätzbarer Vorteil ist, dass wir die Entwicklung und damit letztlich auch das Produktmanagement unserer Plattformen selbst in der Hand haben und diese genau so gestalten können, wie wir sie brauchen. Diese Selbstbestimmtheit – auch als digitale Plattformsouveränität bekannt – ist wichtig, um uns unabhängig zu machen von steigenden Lizenzgebühren und anderen Einschränkungen proprietärer Plattformen.
Da viele von diesen aus den USA stammen, in der sich die Politik derzeit in keine gute Richtung für freie und offene Daten und Plattformen entwickelt, sind wir hier am Zuge. Da ist auch Europa mit seinen Werten gefragt und wir glauben, dass Open Source in Europa eine noch viel wichtigere Rolle spielen wird. Unser Projekt kommt zur genau richtigen Zeit, auch wenn wir uns die äußeren Umstände nicht in dieser Form gewünscht haben.
Alina:
Wie kann es gelingen, eine Open-Source-Gemeinschaft so nachhaltig und langfristig aufzubauen, dass ihre Weiterentwicklung und ihr Fortbestehen nicht mehr von einzelnen Projekten oder kurzfristigen Initiativen abhängig sind?
Cornelis:
Wichtig dabei ist, Open Source-Entwicklung auf ein anderes Level zu heben. Ein Großteil dieser Entwicklungsarbeiten wird immer noch aus Projekten finanziert. Die Ressourcen, die so große Plattformen wie ILIAS oder Stud.IP gerade für eher unsichtbare Verbesserungen in den Bereichen Barrierefreiheit, Softwarequalität, Security aber auch moderne Usability und zeitgemäße Konzepte benötigen, werden meist “nebenbei” aus Projekten mitgetragen, die innovative Lehrkonzepte umsetzen wollen. Das muss sich ändern! Genauso wie für andere wichtige Software an Hochschulen, z.B. für die Buchhaltung oder Office-Anwendungen ohne Frage regelmäßig Lizenzgebühren eingeplant sind, braucht es dieselbe Selbstverständlichkeit auch für die Entwicklungen die das OSDN dauerhaft sicherstellen will.
Alina:
Wie ist denn eure Erfahrung: Werden Open-Source-Lösungen und lizenzierte Produkte an öffentlichen Einrichtungen gleichwertig behandelt?
Cornelis:
Leider gibt es hier eine gewisse “Unfairness”, da Open Source-Produkte wie viele kritische Infrastruktur der realen Welt einfach als gegeben hingenommen werden, bis es vielleicht irgendwann einmal Probleme gibt oder die Software als nicht mehr zeitgemäß empfunden wird. Dann wird schnell auf Open Source geschimpft, da diese Art von Software "ja sowieso nicht mit den gut gestalteten Lösungen des Marktes mithalten kann" – und ohne mit der Wimper zu zucken wird die nächste Jahreslizenz mit großen Summen geordert.
Diese Schieflage wollen wir transparent machen, den Nutzen von offener Software zeigen und gleichzeitig Ängste nehmen – Open Source ist eben genauso gut machbar, wie die Hochschulen sich Gebäude erstellen lassen und dann selbst weiter nutzen, ganz nach ihren Anforderungen und in der Regel ohne Miete zu zahlen!
Alina:
Das ist doch mal ein schöner Vergleich: ILIAS ist wie ein Haus, das wir nach dem Investieren in die Grundsubstanz kostenlos nutzen und mitgestalten können.
Eine abschließende Frage habe ich noch zum EU-Allianzprojekt EULiST, bei dem auch die LUH aktiv mitwirkt:
EULiST verfolgt das Ziel, durch die Verbindung von Gesellschaft, Wissenschaft und Technologie einen gemeinsamen europäischen Bildungsraum zu schaffen. In diesem Kontext: Wie können Lerninhalte, die beispielsweise in ILIAS erstellt wurden, innerhalb der Allianz effizient zwischen den Hochschulen ausgetauscht und in andere Lernmanagementsysteme integriert werden?
Cornelis:
Die vielfältigen EU-Projekte (inzwischen gibt es mehr als 50 europäische Hochschulverbünde mit etwa dem zehnfachen an Hochschulen in diesen Verbünden) schaffen einen idealen Raum, das Thema des Materialaustausches zwischen den Hochschulen bzw. die Öffnung der Plattformen untereinander einzurichten und einem großen Nutzendenkreis anzubieten. Hier gibt es endlich einen großen politischen Willen, dies möglich zu machen und da die meisten europäischen Hochschulen bereits auf die Plattformen des OSDN setzen, ist es ein idealer Use Case, diese besser miteinander zu verbinden. Die offene europäische Softwarelandschaft in Hochschulen zahlt sich aus, da es durch die Offenheit der Plattformen manchmal nur wenige Handgriffe sind, bis die ersten Vernetzungen möglich werden und Studierende über unsere Plattformen zueinanderfinden. So wie es das Erasmus-Programm schon seit vielen Jahren in Präsenz ermöglicht.
Alina:
Cornelis, vielen Dank für deine spannenden Ausführungen und die Einblicke in eure Hochschule und die politische Lage rund um das Thema Open Source. Die Zukunft unserer Plattform betrifft uns alle und es ist schön zu wissen, dass viele in unserer Community aktiv am Weiterbestehen mitwirken und sich neben der Weiterentwicklung auch wichtigen politischen Themen widmen.
