ILIAS-Blog
Paragraph 52a UrhG und die Folgen für ILIAS-User [Update Nr. 2]
An vielen Hochschulen in ganz Deutschland könnten in den nächsten Wochen aufwändig angelegte und aktiv genutzte Kurse in ILIAS und auf anderen Lernplattformen offline gesetzt werden. Grund dafür ist das neue Verfahren, nach dem ab dem 1. Januar 2017 Nachweis und Vergütung urheberrechtlich geschützter Texte erfolgen soll. Dieses wurde zwischen der VG Wort und der Kultusministerkonferenz ausgehandelt, wird von den meisten Universitäten in Deutschland allerdings nicht akzeptiert. Für Lehrende, Studierende und die technische Betreuung der Lernplattformen bedeutet diese Situation Unsicherheit und erheblichen Aufwand. In der ILIAS-Community führt die Situation daher bereits seit einigen Wochen zu regen Diskussionen in der SIG Urheberrecht.
Um Urheberrechtsverstöße weitestgehend zu vermeiden, sollen an einigen Hochschulen sämtliche in ILIAS vorhandene Kurse präventiv offline gesetzt werden. Andernorts will man die Maßnahme auf die Kurse vergangener Semester beschränken, um nicht in den laufenden Lehrbetrieb einzugreifen. Grundsätzlich muss eine Deaktivierung der Kurse bis Jahresende erfolgen, an einigen Hochschulen sogar noch vor Weihnachten. Daher gilt für den Moment die dringende Empfehlung, sämtliche benötigte Materialien für das laufende Wintersemester so schnell wie möglich bereitzustellen. Die Studierenden sollten diese dann vor dem Abschalten komplett herunterladen. Denn Unterlagen, die zum persönlichen Gebrauch gesichert wurden, dürfen auch über den 01.01.2017 hinaus genutzt werden.
Für ILIAS-Administratoren und Administratorinnen kann die Abschaltung der Kurse viel Arbeit bedeuten. Eine mögliche Lösung hat die Uni Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem ILIAS Premium Partner LEIFOS entwickelt: Mittels eines SQL-Update-Befehls lassen sich jeweils alle Kurse in Kategorie(teil)bäumen offline setzen. In Stuttgart betrifft dies ausschließlich die Kurse vergangener Semester. Nach einer Kontrolle durch die Lehrenden können diese aber sukzessive wieder online gesetzt werden. Den Befehl und eine kurze Anleitung finden Sie hier. Es sei aber darauf hingewiesen, dass weder die Uni Stuttgart noch LEIFOS Support leisten bzw. die Funktion des Befehls auf Ihrer Plattform garantieren können. Interessierte sollten daher unbedingt die Dokumentation lesen und den Befehl vor Einsatz auf einer Produktivplattform in einer Test-Umgebung ausprobieren.
Kursinhalte retten
Doch was, wenn Kurse wichtige Objekte enthalten, die nicht von dem aktuellen Streit betroffen sind? Viele Hochschulen nutzen Foren, Wikis, Übungen und andere Objekte innerhalb von Kursen, um Austausch und Diskussion zwischen den Lernenden anzuregen. All diese Werkzeuge wären von einer Totalabschaltung der Kurse betroffen. Problematisch wäre dies insbesondere dort, wo auch die Kurse des laufenden Semesters abgeschaltet werden.
Aus diesem Grund ist auch eine andere Lösung denkbar: Wiederum über einen SQL-Befehl könnte lediglich die Verfügbarkeit aller vorhandenen Datei-Objekte auf den 31.12. dieses Jahres beschränkt werden. Danach bleiben die Dateien sichtbar, können aber nicht mehr abgerufen werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Lernende können weiterhin in ILIAS diskutieren und alle Funktionen mit Ausnahme des Datei-Objekts nutzen. Unproblematische Dateien können dann sukzessive von den Lehrenden wieder freigegeben werden.
Zu bedenken ist hierbei allerdings, dass der Streit um die Lizenzabgaben einem Pilotversuch zufolge weniger als 3% aller Dateien im System betrifft. Auf großen Plattformen stünden mitunter tausende unproblematische Dateien einigen wenigen gegenüber, die tatsächlich entfernt werden müssten. Je nach der eigenen Nutzung könnte eine Deaktivierung aller Dateien also einen ungeheuren Mehraufwand bedeuten im Vergleich zu einer Kurs-Deaktivierung. Denkbar wäre aber, eine Dateiabschaltung für solche Bereiche des Magazins durchzuführen, die nicht in Kursen organisiert sind.
Eigene Dateien schnell finden und löschen
Je nach Umfang der eigenen ILIAS-Nutzung kann der Aufwand einer kompletten Durchsicht aller Materialien für die Lehrenden erheblich sein. Mirco Hilbert von der Uni Gießen empfiehlt, sich im persönlichen Arbeitsraum mit wenig Aufwand eine Übersicht aller eigenen Dateien anzeigen zu lassen. Urheberrechtlich geschützte Materialien können dann schnell gelöscht werden. Eine Anleitung hierzu finden Sie auf den Hilfe-Seiten der Uni Gießen.
Die Hintergründe
Bereits seit vielen Jahren gehört es zum Hochschulalltag, wissenschaftliche Literatur (in Form von Buchausschnitten und Zeitschriftenbeiträgen) in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen. Vielfach geschieht dies über eine Plattform wie ILIAS. Dieses Vorgehen war bislang auch für urheberrechtlich geschützte Literatur zulässig, sofern eine Vergütung an die VG Wort geleistet wurde. Dies geschah pauschaliert auf Basis einer entsprechenden Vereinbarung zwischen der Kultusministerkonferenz (KMK) und der VG-Wort.
Ab dem 01.01.2017 erfolgt keine pauschale Vergütung mehr. Die KMK und die VG Wort haben stattdessen, zwei Urteilen des Bundesgerichtshof folgend, einen neuen Rahmenvertrag über die weitere Nutzung von Literatur an den Hochschulen geschlossen - bei dem sich die Hochschulen aber übergangen fühlen. So sieht der neue Vertrag vor, dass künftig jede einzelne Nutzung eines Texts von der Hochschule bei der VG Wort über eine Eingabemaske zu melden und zu vergüten ist - ein unzumutbarer Aufwand für die Lehrenden wie auch die Hochschulverwaltungen. Bei einem Pilotversuch an der Uni Osnabrück standen 21.000 Euro an Melde- und Verrechnungsaufwand Lizenzabgaben von lediglich 5.000 Euro gegenüber.
In der Folge entscheiden sich nun immer mehr Hochschulen dazu, dem Anfang Oktober geschlossenen Rahmenvertrag nicht beitreten. Dies haben unter anderem die Landesrektorenkonferenzen von Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein empfohlen.
Aktuell ist mit einer gemeinsamen Pressemitteilung der Hochschulrektorenkonferenz, der KMK und der VG Wort am 9. Dezember wieder Bewegung in die Angelegenheit gekommen. So soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe „rechtzeitig vor dem Jahresende 2016“ einen Lösungsvorschlag vorlegen, der eine „bruchlose weitere Nutzung der digitalen Semesterapparate an den deutschen Hochschulen über die Jahreswende hinaus“ ermöglichen soll.
Der ILIAS-Verein hofft auf eine baldige Einigung und auch über das Wintersemester hinaus auf eine unbürokratische Lösung, welche sowohl für die Rechteinhaber als auch für die Hochschulen zufriedenstellend ist. ILIAS hat das Ziel, die Arbeit der Lehrenden zu erleichtern und die Lernprozesse der Studierenden zu unterstützen. Die aktuelle Situation ist für alle Seiten unbefriedigend und könnte die Weiterentwicklung zeitgemäßer Lehr- und Lernformen um Jahre zurückwerfen.
Allen betroffenen ILIAS-Anwenderinnen und Anwendern sei auch für die nächsten Wochen das Forum der SIG Urheberrecht empfohlen. Es besteht dort die Möglichkeit, sich mit anderen Hochschulen auszutauschen und aktuelle Entwicklungen zeitnah zu diskutieren und kommentieren.
Update 19.12.2016: Auch wenn noch keine offizielle Pressemeldung der beteiligten Parteien vorliegt, scheint die Arbeitsgruppe aus HRK, KMK und VG Wort einen ersten Verhandlungserfolg erzielt zu haben. Nach aktuellen Informationen, die uns aus verschiedenen Hochschulen erreichen, soll eine Verlängerung der aktuellen Lizensierungspraxis bis September 2017 beschlossen worden sein. Bis dahin will die Arbeitsgruppe dann eine endgültige Lösung für die von der VG Wort geforderte Einzelabrechnung von Werknutzungen finden. An den Hochschulen scheint eine Abschaltung der Kurse und/oder Dateien zum Jahresende daher vom Tisch.
Wenn uns offizielle Pressemitteilungen zu diesem Thema vorliegen, werden wir den Artikel erneut aktualisieren.
Update 20.12.2016: Spiegel online zitiert aus einem Brief des Staatssekretärs im NRW-Wissenschaftsministerium, Thomas Grünewald, an die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen: "Die Beteiligten [HRK, KMK, VG Wort] haben vereinbart, die pauschale Abgeltung der Ansprüche der VG Wort zunächst bis zum 30. September 2017 fortzuführen. Diese Vereinbarung ermöglicht somit den Hochschulen eine Nutzung im bisherigen Umfang auch über den 31. Dezember 2016 hinaus."